Unterbelichteter Lichtbildschutz

Hartwig Thomas, 02.08.2018


Unterbelichteter Lichbildschutz

Im aktuellen Entwurf zur Revision eines “modernisierten” Schweizer Urheberrechtsgesetzes (URG) vom 22. Nov. 2017, hat der Bundesrat vorgesehen, dass Fotografien in Zukunft urheberrechtlich geschützt sein sollen, auch wenn sie keinen Werkcharakter haben.

Art. 2 Werkbegriff
1 Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.

3bis Fotografische Wiedergaben und mit einem der Fotografie ähnlichen Verfahren hergestellte Wiedergaben dreidimensionaler Objekte gelten als Werke, auch wenn sie keinen individuellen Charakter haben.

Der neue Absatz 3bis des Artikels 2 steht in diametralem Gegensatz zum ersten Absatz und verändert den Charakter des Urheberrechts grundlegend. Die bewusste Gestaltung durch menschliche Urheber ist in Zukunft unerheblich für den urheberrechtlichen Schutz. Dieser soll erst 50 Jahre nach der Herstellung der fotografischen Wiedergabe wegfallen. Fotografische Werke mit individuellem Charakter bleiben dabei länger, nämlich weiterhin 70 Jahre nach dem Tod ihrer Urheber, “geschützt”.

Schnappschuss oder Kunst?

Das erklärte Ziel der Proponenten einer solchen Regelung ist die Beseitigung der Rechtsunsicherheit um Umgang mit Fotografien. Neben der neuen Direktorin des Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) hat sich vor allem Christoph Schütz als selbsternannter Sprecher für alle Fotografen für diese neue Regelung eingesetzt. Er bemängelt seit Jahren, dass Gerichte die notwendige Schöpfungshöhe für fotografische Werke nicht immer nachvollziehbar beurteilen. Als Beispiel für die Willkür des Bundesgerichts dienen ihm die Entscheide zu Fotos von Christoph Meili und Bob Marley.

Urheberrecht generell ganz ohne individuellen Charakter?

Die Frage der Grenzziehung bei der Schöpfungshöhe stellt sich allerdings bei allen Werkgattungen. Eine gewisse Unschärfe bei der gerichtlichen Auslegung dieser Grenze wird sich nie ganz vermeiden lassen. Wenn das Erfordernis des individuellen Charakters für urheberrechtlich geschützte Werke wirklich eine schwerwiegende Rechtsunsicherheit für Kulturschaffende und Verwerter darstellt, müsste man dieses Erfordernis konsequenterweise für alle Werkgattungen fallenlassen.

Selbst wenn der Lichtbildschutz nach Vorgabe des Bundesrats eingeführt wird, stellt sich das Problem spätestens in zehn Jahren erneut: Wenn das Porträt von Bob Marley individuellen Charakter hatte, bleibt es nach 2028 urheberrechtlich geschützt bis 70 Jahre nach dem Tod von Max Messerli vergangen sind. Andernfalls fällt der Schutz 50 Jahre nach Herstellung des Lichtbilds dahin. Beseitigt der vorgesehene Lichtbildschutz wirklich Rechtsunsicherheit?

Juristen und Fotografen

Zur politischen Debatte haben sich praktisch keine professionellen Fotografen geäussert. Hingegen findet man eine lange Liste von Juristen, die von der angeblichen Beseitigung der Rechtsunsicherheit schwärmen.

Das dürfte darin begründet sein, dass - neben der Verwertungsgesellschaften - Juristen am meisten von der Neuerung zu profitieren glauben. Nirgends wird so viel um Urheberrecht von Fotografien prozessiert wie in Deutschland und Österreich, wo ein solcher voraussetzungsloser Lichtbildschutz schon länger in Kraft ist. Nirgends bereichern sich Verwertungsgesellschaften und Abmahnkanzleien mit fadenscheinigen Argumenten im gleichen Mass an unschuldigen Bürgern wie in diesen Ländern. Denn die vermeintliche Beseitigung der Rechtsunsicherheit bezüglich der Schöpfungshöhe erzeugt eine Vielfalt von neuen Gebieten der Rechtsunsicherheit:

Totale Entwertung der professionellen Fotografie

Die professionelle Fotografie ist schon durch die ubiquitäre Verbreitung von Geräten in Bedrängnis geraten, mit denen die ganze Menschheit täglich Tausende von (in Zukunft dann geschützten) Lichtbildern herstellt. Wer aber ansehnliche Bilder für seine Website braucht, wendet sich mit Vorteil an professionelle Fotografen. Der Respekt vor deren Können wird allerdings total untergraben, wenn jedes Knipsbild, das ich etwa von meinem Arbeitsplatz mit Aufwand von einer Sekunde mache, auf der gleichen Stufe urheberrechtlich geschützt ist, wie ein fotografisches Werk einer professionellen Fotografin mit individuellem Charakter.

Wenn in Zukunft alle erdenklichen Bilder geschützt sind, werden sich Menschen und Firmen darauf einstellen, nur mit selbstgefertigten Bildern zu operieren. Um ihre Kunden zu schützen, müssen sie von allenfalls beauftragten Fotografen eine totale Rechteabtretung einfordern, die viele in juristischem Kauderwelsch verfasste Seiten umfasst. Die professionellen Fotografen werden in Zukunft gezwungen sein, sich mehr mit Lizenzfragen als mit Fotografieren zu beschäftigen.

Logischerweise müsste auch jede Geräuschdatei unabhängig von ihrem individuellen Charakter urheberrechtlich geschützt werden, um damit angebliche Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Die Abmahnungen auf YouTube zeichnen den Weg vor, was da auf uns zukommt. Wer braucht da noch Komponisten und Musiker, wenn das Rauschen eines AKW oder das Quietschen des Trams im Hintergrund eines Telefonats schon urheberrechtlich geschützt ist? Wer braucht noch Schriftsteller und Verlage, wenn schon jeder Einkaufszettel und jedes Lallen eines Kleinkinds unter urheberrechtlichem Schutz steht?

Wer profitiert vom schrankenlosen Lichtbildschutz?

Da sich die Fotografen in der grossen Mehrheit nicht für den neuen Schutz von Fotografien interessieren, ja oft nicht einmal wissen, dass ein solcher vielleicht bald vom Parlament zum Gesetz erhoben wird, muss man die Profiteure der neuen Regelung wohl anderweitig suchen.

Eine wichtige Gruppe von Interessenten dürften die international operierenden Konzerne sein, die mit “Stock Photos” handeln. Wie auf anderen Gebieten des Handels mit Urheberrechten (Musik, Video), ist die Anzahl dieser meist in den USA domizilierten Firmen weltweit auf wenige, riesige Konglomerate geschrumpft. Sie gehen bekanntermassen eher unzimperlich vor und beanspruchen auch mal Urheberrechte, die ihnen nie übertragen wurden. Sie haben eine starke Lobby: ohne ihren politischen Druck, würde heute in der Schweiz eine Revision des Urheberrechts nicht diskutiert. Diese Firmen müssten nach der Einführung eine urheberrechtlichen Schutzes für Lichtbilder ohne individuellen Charakter nicht mehr im Einzelnen nachweisen, dass ein von ihnen angebotenes Bild urheberrechtlichen Schutz geniesst.

Neben diesen amerikanischen Oligopolen dürften gewissen Anwaltskanzleien mit der Möglichkeit liebäugeln, mit Hilfe von Abmahnungen reich zu werden. (Man rufe sich die oben zitierte lange Liste der Juristen in Erinnerung, die für die Einführung eines schrankenlosen Lichtbildschutzes eintreten.) Es ist anzunehmen, dass nach der Einführung eines solchen Lichtbildschutzes auch in der Schweiz eine grössere Abmahnwelle einsetzt. Christoph Schütz verneint dieses Risiko im oben zitierten Artikel, weil ihm “diverse Urheberrechtsspezialisten” versichert hätten, eine solche sei in der Schweiz nicht zu befürchten, weil hierzulande keine vorprozessualen Gebühren in Rechnung gestellt werden könnten. Es ist bekannt, dass sich solche Kanzleien besonders auf die Wehrlosen in der Gesellschaft stürzen, z.B. alleinstehende Mütter von Teenagern, die alles bezahlen, um allfällige Prozesskosten zu vermeiden. Ob die Abstandszahlung nun unter dem Titel “vorprozessuale Gebühren” oder “nachträgliche Lizenzgebühren” läuft, ist dabei unerheblich. Es ist allen Abgemahnten zu empfehlen, sich vertrauensvoll an Christoph Schütz und seine “diversen Urheberrechtsspezialisten” zu wenden.

Schliesslich profitieren wohl die Verwertungsgesellschaften von der Einführung eines neuen urheberrechtlichen Schutzes für eine Unmenge von Lichtbildern. Die Forderung der ProLitteris nach einem neuen “Gemeinsamen Tarif” wird nicht auf sich warten lassen.

Christoph Schütz schreibt dazu:

“Ob und wie sich die Einführung des Lichtbildschutzes auf die gesetzlichen Vergütungen, z.B. die Leerträgervergütung, auswirken wird, wird sich erst in den paritätischen Tarifverhandlungen zwischen Nutzern und Verwertungsgesellschaften zeigen.”

Paritätisch sind solche Verhandlungen noch nie gewesen. Normalerweise diktieren die Verwertungsgesellschaften einfach einen Tarif (wie 2017 die 5000% Erhöhung der Zwangsabgaben für Schulen) und gehen allenfalls einen kleinen Kompromiss mit Nutzervertretern ein, die allerdings von weniger als 1% der Nettozahler mandatiert wurden.

Die Verwertungsgesellschaften werden also für jedes private Smartphone-Bild, für jede wissenschaftliche Fotografie, für jedes Bild einer Überwachungskamera auf einer Website eine Kompensation für die “Vergütung” des Privatverbrauchs verlangen. Weil es zu mühsam ist, einzelne Fotos zu verzeichnen und zu zählen, wird das in einem flächendeckenden Gemeinsamen Tarif resultieren, den alle Website-Betreiber, alle Wissenschaftler, alle Polizeistationen als “Nutzer” bezahlen müssen. Dieser wird wie schon die anderen Gemeinsamen Tarife, die heute in Kraft sind, in der Höhe völlig unbeschränkt die allfällig entgangenen Entgelte um ein Vielfaches übersteigen. Die daraus resultierenden Einnahmen werden auch nicht an die Urheber ausbezahlt, die ja zu 95% private Smartphone-Besitzer sind ohne Mitgliedschaft bei einer Organisation der Urheberrechtsmafia.

Urheberrecht ins Pfefferland

Christoph Schütz unterstellt dem Verein Digitale Allmend, dass seine Mitglieder das Urheberrecht ins Pfefferland wünschen. Ganz unrecht hat er dabei nicht, denn der Autor dieses Blogs ist Mitglied dieses Vereins und übt tatsächlich starke Kritik am heutigen Urheberrecht, welches völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Denn es fördert heute das Kulturschaffen nicht mehr, sondern schickt es in den Sklavendienst amerikanischer Oligopole und bürokratischer Kulturfunktionäre. Die Unterstellung, ich wolle das Urheberrecht gänzlich abschaffen, ist allerdings stark übertrieben. Immerhin habe ich einen ausführlichen Vorschlag für ein auf das Wesentliche reduziertes Urheberrecht ausgearbeitet.

Aus diesem Grund hoffe ich beinahe, dass der voraussetzungslose Lichtbildschutz vom Parlament unverändert übernommen wird. Ein solcher Lichtbildschutz mit seinen Abmahnungen und Pauschalgebühren dürfte heute - mit Ausnahme eines neuen “Schutzes” für Replay-TV - wohl das geeignetste Mittel darstellen, um der allgemeinen Bevölkerung und den Kulturschaffenden vor Augen zu führen, dass das Urheberrecht in der heutigen Form der Kultur und der Gesellschaft schadet. So wird dann endlich der Weg frei für eine Umgestaltung des Urheberrechts, welche die Bezeichnung “Modernisierung” wirklich verdient.

Ceterum censeo

Die Kulturfunktionäre der Verwertungsgesellschaften prägen die Entwicklung des Urheberrechts entscheidend, wie man etwa an ihrer Vertretung in der AGUR12 ablesen kann. Sie können sich das leisten, weil ihre - teils exorbitanten - Einkommen aus Pauschalabgaben stammen, die nichts mit der Kreation von Werken zu tun haben und als “Vergütungen” die Höhe der entgangenen Entgelte um ein Vielfaches übersteigen.

In einem echt modernisierten Urheberrecht, darf ihnen keine Spezialstellung zur Erhebung pauschaler Vergütungen mehr eingeräumt werden. Sie - und die unwirksame und unglaubwürdige Eidgenössische Schiedskommission sind ganz aus dem Gesetz zu streichen. Privat bleibt natürlich den Kulturschaffenden unbenommen, die Verwertung ihrer Werke einer solchen Institution zu übertragen. Leergutabgaben entfallen dann zugunsten von Vollgutpreisen.