Im Geheimen festgelegte Zwangsabgaben

Hartwig Thomas, 28.05.2019


Barbed Wire

Erhöhung der Zwangsabgaben für Schulen

Im Herbst 2018 fand ich auf Seite 6 des Jahresberichts der Verwertungsgesellschaft ProLitteris für das Jahr 2017 folgende Aufstellung:

 Schulen GT 7 (CHF)   2016   2017   +/- 
 Ertrag Schweiz   114’419   10’884’350   9412.7% 
 Vermittlungsgeschäfte   0   -2’779’219   - 
 Erlösminderungen   -2’923   -40’000   - 
 Inkassokosten Dritte   0   1’382’412   - 
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 Ertrag Schweiz netto   111’497   6’682’720   5893.7% 
 Auflösung Rückstellungen   0   0   - 
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 Total   111’497   6’682’720   5893.7% 
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Eine fast hundertfache Erhöhung der pauschalen Zwangsabgaben der Schulen für Urheberrechte an die Verwertungsgesellschaften gegenüber dem Vorjahr schien mir bemerkenswert, da ich ohnehin nie verstanden habe, inwiefern die Schulen “Nutzer” von Rechten von Urhebern sind und diese dafür entschädigen müssen. Ist es nicht vielmehr umgekehrt, dass Urheber dank der Schulen neues zahlendes Publikum für ihre Werke finden?

Bei genauerer Analyse ergab sich allerdings, dass die Erhöhung der Abgaben für Schulen deutlich moderater ausfiel als diese Statistik nahelegt. Der neue GT 7 (Gemeinsamer Tarif der Verwertungsgesellschaften für Schulen und Hochschulen) fasst neu den GT 8 (Gemeinsamer Tarif für Betreiber von Fotokopierapparaten) und den GT 9 (Gemeinsamer Tarif für Betreiber von internen Netzwerken) zusammen, die früher separat verrechnet wurden. Er räumt also den Schulen das Recht ein, Fotokopierer für die Erstellung von Privatkopien geschützter Werke zu betreiben und auf internen Netzwerken Pressespiegel zu publizieren.

Ist der Tarif für Schulen und Hochschulen angemessen?

Mich hätte nun interessiert, warum die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich zum Beispiel etwas mehr als 30 Franken pro Student bezahlen muss, und nicht 15 oder 60.

Die Angemessenheit des Tarifs müsste ja auf einer realistischen Einschätzung der den Urhebern entgangenen Entgelte beruhen, die auf die Erstellung von Privatkopien auf Fotokopierern oder Netzwerken in den Schulen zurückzuführen sind. Dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob und in welchem Ausmass diese Geräte allenfalls auch von Schülern, Studenten oder Lehrpersonal für illegales Kopieren oder Hochladen von geschützten Werken genutzt werden. Denn die auch von der Schweiz unterzeichnete Menschenrechtserklärung verbietet Kollektivstrafen.

An welche ominösen “Dritte” werden exorbitante “Inkassokosten” ausgezahlt?

Sowohl die Zürcher Erziehungsdirektorin als auch die ProLitteris gaben teilweise voneinander abweichende Auskunft, was mit “Vermittlungsgeschäften” in der Höhe von 2,8 Millionen Franken gemeint ist, oder wie die “Inkassokosten” von 1.4 Millionen Franken (im Jahresbericht fehlt hier wohl ein Minuszeichen) zustande kommen und welchen “Dritten” diese ausbezahlt werden. In meiner Naivität hätte ich angenommen, dass das Inkasso aus dem Versenden einer Rechnung an jeden Kanton besteht, die anstandslos bezahlt wird. Mit 1.4 Millionen Franken hingegen kann man an die 12 Vollzeitstellen finanzieren.

Auch über die Höhe der “Erlösminderungen” kann man nur spekulieren. Manche Auskünfte reden von “Rabatten”, welche der EDK gewährt werden. Allerdings ist unklar, inwiefern zuerst ein höherer Betrag der Zwangsabgaben festgelegt wird, um ihn danach um Rabatte zu mindern. Auch geht aus der Rechnung nicht hervor, ob den Kantonen eine um Rabatte reduzierte Beträge in Rechnung gestellt wurden.

Die Eidgenössische Schiedkommission begründet die Angemessenheit der Zwangsabgaben nicht

Um also diese Zahlen und die Angemessenheit des Tarifs besser zu verstehen, wandte ich mich an diejenige Institution, deren einzige vom Urheberrechtsgesetz festgelegte Aufgabe darin besteht, die pauschalen Zwangsabgaben an die Verwertungsgesellschaften auf ihre Angemessenheit zu prüfen und darüber einen Bericht zu verfassen: Die “Eidgenössische Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten” (ESchK). Im Beschluss der ESchK vom 30. November 2016 zum GT 7 findet sich zur Frage der Angemessenheit des Tarifs folgender bemerkenswerter Absatz:

E.

Bezüglich derAngemessenheit des zur Verlängerung vorgelegten Tarifs verweisen die Verwertungsgesellschaften auf die Einigung, zu der sie mit den Nutzerorganisationen gelangt seien. Es gebe im vorliegenden Fall keine Umstände, die der Vermutung widersprechen würden, wonach der Tarif einer unter einem Konkurrenzverhältnis zustande gekommenen Einigung gleichkomme. Seien keine entsprechenden Indizien erkennbar, nach welchen die Schiedskommission im Übrigen auch nicht suchen müsse, könne sie praxisgemäss davon ausgehen, dass der Tarif angemessen sei, und diesen genehmigen.

Auf deutsch heisst dies, dass die ESchK darauf verzichtet, die Angemessenheit des Tarifs zu begründen, weil sich die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) und die Verwertungsgesellschaften einig waren. Denn

Aus den Gesuchsunterlagen geht zudem hervor, dass die Verhandlungen im Sinne von Art. 46 Abs. 2 des Bundesgesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. Oktober 1992 (Urheberrechtsgesetz, URG, SR 231.1) ordnungsgemäss durchgeführt worden sind. Die Verhandlungspartner haben dem neuen Tarif ausdrücklich zugestimmt.

Mit dem Öffentlichkeitsgesetz zur Begründung der Angemessenheit

Da es letztlich die Steuerzahler sind, die hier die exorbitanten Administrationskosten der Verwertungsgesellschaften inklusive “Vermittlungsgeschäfte” und “Inkassokosten Dritte” (gut versteckt im Bildungsbudget!) bezahlen, erbat ich am 7. November 2018 von der ESchK gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) Einsicht in diese Gesuchsunterlagen, welche anscheinend die Angemessenheit des Tarifs begründen. Diese Einsicht wurde mir von der ESchK mit der Begründung verweigert, dass die Schiedskommission eine “richterliche Instanz” sei und das Öffentlichkeitsgesetz deshalb nicht auf sie angewendet werden könne.

Als Nichtjurist interessiert mich nicht in erster Linie, ob das Öffentlichkeitsgesetz oder das Prinzip der Justizöffentlichkeit es der Allgemeinheit ermöglichen, die Begründung der Angemessenheit eines an private Organisationen bezahlten Zwangsabgaben-Tarifs einzusehen. Denn einzig zur Sicherstellung der Angemessenheit der Zwangsabgaben, welche sonst von den Verwertungsgesellschaften, deren Gier schon heute selbst vor Blindenbibliotheken nicht Halt macht, in beliebige Höhen gesteigert würden, wurde die Schiedskommission im Urheberrecht festgeschrieben.

Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte empfiehlt die Gewährung der Akteneinsicht

Ich wandte mich also an den Experten zur Anwendung des BGÖ, den Eidgenössischen Datenschutz und Öffentlichkeitsbeauftragen EDÖB, um zu klären, ob das Öffentlichkeitsgesetz nun wirklich nicht auf die ESchK anwendbar sei. Dieser lud die ESchK und mich zu einer Schlichtungssitzung am 12. Dezember 2018 ein, an welcher sich die ESchK und ich nicht einig wurden. Am 21. Dezember 2018 publizierte der EDÖB eine Empfehlung, dass die ESchK mir Einsicht in die Unterlagen gewähren möge.

Die ESchK besteht auf Geheimhaltung der Gründe für die Bestätigung der Angemessenheit

Daraufhin war die ESchK genötigt, eine vor Gericht anfechtbare Verfügung zu erlassen, welche mir und der Allgemeinheit den Zugang zu den geforderten Dokumenten erneut verweigerte.

Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht hängig

Gegen diese Verfügung erhob ich beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde. Auch bei diesem Verfahren bemühte sich die ESchK um maximale Verzögerung und Kompliziertheit. In ihrer Replik auf meine Beschwerde hielt sie es ausserdem für nötig, auch die Juristen der Verwertungsgesellschaften zu Wort kommen zu lassen, ob mein Anliegen der korrekten Anwendung des BGÖ entspreche. Für mich stellt sich das Verfahren dar wie ein Jekami von Juristen, die nicht nur in der Sache der Akteneinsicht Partei sind (ESchK), sondern auch als Tarifpartner ein maximales Interesse zu haben scheinen, die Tariffestlegungen als Geheimsache zu betreiben (ProLitteris), gegen einen Nichtjuristen, der sich erfrecht, ihre Machenschaften genauer unter die Lupe zu nehmen.

Was haben die ESchK und die Verwertungsgesellschaften zu verbergen?

Ob ich Akteneinsicht erhalte oder nicht, wird wohl das Bundesverwaltungsgericht irgendwann entscheiden. Nachdem ich nun in der Hoffnung auf eine angemessen speditive Behandlung der Frage mehr als ein halbes Jahr mit einer publizierten Darstellung des Falls gewartet habe, bin ich zum Schluss gekommen, dass ich als Einzelner wohl kaum gegen die Kollusion des Mauerns von ESchK, Verwertungsgesellschaften und EDK ankommen werde: Es kann noch lange dauern, bis die Öffentlichkeit Akteneinsicht zu Dokumenten erhält, welche die Angemessenheit von Zwangsabgaben-Tarifen an die Verwertungsgesellschaften der Urheber begründen.

Offene Fragen

Warum haben alle Beteiligen panische Angst davor, dass die Öffentlichkeit einen Einblick in die Festlegung der Zwangsabgaben-Tarife erhalten?

Wie hoch sind die den Urhebern wegen der Aktivitäten von Schulen und Hochschulen entgangenen Entgelte für Privatkopien wirklich?

An wen und wofür werden “Inkassokosten” im siebenstelligen Bereich ausbezahlt?

Wem werden “Vermittlungsgeschäfte” im siebenstelligen Bereich vergütet?

Ceterum Censeo

Die unkontrollierte Abzocke durch die Verwertungsgesellschaften geht viel zu weit. Nächste Woche hat der Ständerat die vorläufig letzte Chance, hier Gegensteuer zu geben. Auch wenn die völlige Abtrennung der Verwertungsgesellschaften von Zwangsabgaben, die den Charakter von Kollektivstrafen haben, in der jetzigen Runde wohl nicht mehr erzielt werden kann, so könnten wenigstens folgende kleine Korrekturen am aktuellen Urheberrechtsentwurf angebracht werden: