Die Honigtopf-Masche

Hartwig Thomas, 06.09.2018


Source: https://www.wykop.pl/wpis/17098015/hej-linuksiarze-znacie-jakis-soft-typu-honeypot-cz/

Die Urheberrechts-Betonköpfe versuchen mit aller Gewalt, sogenannte Peer-to-Peer-Netzwerke zu bekämpfen und zu kriminalisieren. Ein Ansatz dazu ist der neue Artikel 77i, wie wir ihn im bundesrätlichen Entwurf für ein modernisiertes Urheberrecht vom 22. November 2017 finden. Dieser reduziert den Datenschutz von Internetnutzern, die Daten aus Peer-to-Peer-Netzwerken beziehen. Dies ist die Antwort auf ein dringliches Anliegen der US-Administration, welche die Interessen der Oligopole der Unterhaltungsindustrie mit Hilfe von Abmahnungen gegen “Piraterie” durchsetzen will - auch auf Kosten der Privatsphäre aller anderen Internetnutzer. Diese Interessenvertreter, die Druck auf den Bundesrat ausüben, wollen vor allem das sogenannte “Logistep”-Urteil des Bundesgerichts mit Hilfe des neuen Artikels im Schweizer Urheberrechtsgesetz (URG) aufweichen. Der US-Administration und Cambridge Analytica dient eine solche Erlaubnis zum leichteren Anlegen von Datenbanken, welche das Browserverhalten der gesamten Schweizer Bevölkerung aufzeichnen und auswerten. Niemand weiss, zu welchen politischen Beinflussungen und ökonomischen Erpressungen sie diese nutzen werden.

Was ist ein Peer-to-Peer-Netzwerk?

Heute sind die meisten Internetnutzer an die “Client-Server”-Kommunikation gewöhnt. Der Benutzer ist der “Kunde” (Client), welcher die Adresse eines “Servers” (z.B.: www.sbb.ch) eingibt und von diesem Daten verlangt. Der Server wird mit grösserem Aufwand administriert und bedient viele Kunden.

Die Peer-to-Peer-Kommunikation basiert dagegen auf der Symmetrie des Internet: Jedes Gerät, welches Client sein kann, kann auch Server sein. (Dies erfordert, dass jeder Client eine eigene Adresse hat, was bei heutigen Internet-Providern nur auf Wunsch zu höherem Preis erhältlich ist, aber - besonders mit IPv6 - keinerlei Schwierigkeiten bereitet. So kann sich also jeder Nutzer als Client mit jedem anderen Benutzer als Server verbinden, sofern dessen Maschine nicht abgeschaltet ist. Der Vorteil eines solchen Peer-to-Peer-Netzes ist der Wegfall der beim Server zentralisierten Macht und Kontrolle der Internet-Nutzung.

Die Technologie der Peer-to-Peer-Netze wurde früh genutzt, um sogenannte Tauschbörsen einzurichten. Ein Nutzer stellt seinen Freunden Dateien auf einem Austauschbereich seiner Festplatte zur Verfügung und erhält im Gegenzug die Möglichkeit, die Dateien auf den Austauschbereichen seiner Freunde zu sich zu kopieren. Sozusagen ein verteiltes Facebook ohne die zentrale Kontrolle einer Zensur-Firma Facebook. Bei Tauschbörsen um 2000 (z.B. Napster) ging es vor allem um Musikdateien. Da die Fans nun eifrig untereinander Musik austauschten, ergab sich, dass sich diese sehr schnell verbreitete und bei einer sehr grosse Anzahl von Freunden, Freunden von Freunden und Freunden von Freunden von Freunden landete. Die grossen US-Oligopole, welche die weltweite Kontrolle über alle vervielfältige Musik auf drei bis vier Konzerne vereinigen, hielten diese Form des Austauschs von Musik in Peer-to-Peer-Netzwerken für die Ursache des Einbrechens der CD-Verkäufe.

Bei einem Peer-to-Peer-Austausch nutzen die meisten Teilnehmer nicht nur den - in der Schweiz - freien Download, sondern stellen ihre Daten auch für Andere zur Verfügung. Das könnte als Privatkopie gelten, für die wir ja alle heftige pauschale Zwangsabgaben bezahlen. (Auch über zulässige Privatkopien können sich Inhalte schnell um die ganze Welt verbreiten.) Andernfalls ist das Verfügbarmachen ohne von Urhebern oder Rechteinhabern erworbene Lizenz unzulässig. Die Frage, ob und welche Peer-toPeer-Tauschbörsen das Urheberrecht verletzen, ist in der Schweiz nie gerichtlich geklärt worden. Die US-Unterhaltungsindustrie, die grosse Beträge aus den pauschalen Zwangsabgaben der Schweizer Bürger bezieht, stellt sich jedenfalls auf den Standpunkt, dass es sich nicht um zulässige Privatkopien handelt.

Sie bekämpft deshalb alle Peer-to-Peer-Netzwerke seit 20 Jahren mit intensivem Lobbying politisch und juristisch. Damit war sie weltweit sehr erfolgreich, erreichte aber ihr Ziel nicht. Denn die Peer-to-Peer-Netzwerke hatten offenbar nur einen marginalen Einfluss auf ihre erzielten Umsätze.

Die Bekämpfung der Musikfans hat den Verkauf nicht stimuliert. Dafür sind einige legale Tauschbörsen entstanden, etwa eine ganze Heavy-Metal-Subkultur, wo die Urheber und Rechteinhaber auf den Umweg über die amerikanische Unterhaltungsindustrie verzichten, und ihren Fans explizit erlauben, ihre Musik auf dem Web zu teilen. Die Einnahmen an Konzerten belegen den Erfolg dieser Strategie.

Trotzdem hat die US-Lobby auch 2017 im Entwurf des Bundesrats zur Revision des Urheberrechts einen “Anti-Piraterie”-Artikel durchgesetzt:

5a. Titel: Bearbeitung von Personendaten zum Zweck der Strafantragsstellung oder der Strafanzeigeerstattung

Art. 77i

1 Die Rechtsinhaber und -inhaberinnen, die in ihren Urheberrechten oder in ihren verwandten Schutzrechten verletzt werden, dürfen Personendaten bearbeiten, soweit dies zum Zweck der Strafantragsstellung oder der Strafanzeigeerstattung notwendig ist und sie rechtmässig darauf zugreifen können. Sie dürfen diese Daten auch für die adhäsionsweise Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen oder für deren Geltendmachung nach abgeschlossenem Strafverfahren verwenden.

2 Sie haben den Zweck der Datenbearbeitung, die Art der bearbeiteten Daten und den Umfang der Datenbearbeitung offenzulegen.

3 Sie dürfen die Personendaten nach Absatz 1 nicht mit Daten verknüpfen, die zu anderen Zwecken gesammelt wurden.

Das Logistep-Urteil

Dieser URG-Artikel dient dem Zweck, das Logistep-Urteil des Bundesgerichts rückgängig zu machen, welches festhielt, dass eine Sammlung von IP-Adressen im Widerspruch zum Datenschutz steht. Die Firma Logistep hatte nämlich ein Geschäftsmodell auf dem Honigtopfmodell aufgebaut:

Die schweizerische Firma Logistep AG, deren Inhaber auch unter di­versen anderen Firmennamen aktiv waren, hat den Mitgliedern der IFPI, den Schallplattenfirmen, vor­gerechnet, wie man das macht: Ein neuer Song spielt, ehr­lich verkauft, einen eher bescheidenen Gewinn ein. Ausser­dem muss man eine Auflage von CDs pressen und vertrei­ben. Viel einfacher ist es, einen solchen neuen Song in eine Tauschbör­se einzuspeisen. Mit Hilfe der Software der Firma Logistep AG kann man dann die IP-Adressen verfolgen, wo der Song hinkopiert wurde. IP heisst in diesem Fall Internet Protocol und ist nicht zu verwechs­eln mit IP für Intellectual Property. Eine IP-Adresse identifi­ziert zu ei­nem festen Zeitpunkt die beteiligten Maschinen ziem­lich eindeutig. Mit einem Rundum-Sorg­los-Paket, in das die automatische Übermitt­lung der Anzei­ge an ein Abmahnanwaltsbüro inbegriffen ist, braucht man dann nur noch den sich einstellenden Geldsegen abzuwar­ten, der selbst nach Abzug hoher Kosten für die Software und die Anwälte im­mer noch höher ist, als der aus ehrli­chem Verkauf realisierte Profit.

aus: Erster Entwurf eines Versuchs über den Zusammenstoss des Urheberrechts mit dem Internet

Seit das Bundesgericht damals entschieden hat, dass dieses Vorgehen aus Datenschutzgründen illegal ist, rennen die internationalen Oligopole der Unterhaltungsindustrie Sturm dagegen. Das Verbot, IP-Adressen zu sammeln, ist neben dem freien Download der Hauptgrund, warum diese in den USA ansässige Industrie die Schweiz jeweils auf die schwarze Liste der “Piraterie-Freihäfen” setzt. Mit dem neuen Artikel 77i soll nun Rechteinhabern (also allen, die sich so nennen?), neu das Recht eingeräumt werden, wieder IP-Adressen zu sammeln.

Abmahnwelle

Anscheinend sollen die Absätze 2 und 3 missbräuchliche Geschäftsmodelle wie dasjenige der Logistep AG einschränken. Sie dürften aber kaum greifen, denn man kann jede Abmahnung mit einer Androhung einer Strafantragsstellung oder der Strafanzeigeerstattung verbinden. Ein Verfahren, wo Rechteinhaber vor dem Anlegen solcher Datenbanken erst ihre Urheberrechte oder Interpretenrechte belegen müssen, ist jedenfalls nicht vorgesehen.

Einem anderen Zweck als missbräuchlichen Abmahnungen kann dieser neue Artikel kaum dienen. Denn um gegen einzelne Täter zu prozessieren, benötigt man keine Datenbank mit persönlichen Angaben über Internetnutzer. Einzelprozesse rentieren aber nicht, weil dann die Rechteinhaberschaft auch noch bewiesen werden muss. Die IFPI hat schon seit Jahren eine Prozesswelle in der Schweiz gegen “Piraten” angekündigt und bis heute keinen einzigen Prozess geführt. Dieser Versuch scheiterte jedenfalls nicht an der Unmöglichkeit, die Identität von Internetnutzern festzustellen, die nach Ansicht der Rechteinhaber ihr Urheberrecht verletzen. Denn die Honigtopf-Masche basiert auf Imponiergehabe und Abmahnforderungen, die von einem genügend grossen Prozentsatz der eingeschüchterten Internetnutzer bezahlt werden und so mehr einbringen, als wenn man die Werkexemplare normal in den Verkauf bringen würde.

Überwachung

Jeder Bitstream ist potenziell urheberrechtlich geschützt, denn er kann visualisiert werden und ist dann vom Lichtbildschutz sogar ohne Anforderung einer Schöpfungshöhe “Geistiges Eigentum” von “Rechteinhabern”. (Sogar dieser Text wird zum Lesen visuell dargestellt und ist daher auf der Basis des Lichtbildschutzes sogar dann geschützt, wenn er kein Werk mit individuellem Charakter ist.) Somit ist dank Artikel 77i praktisch jeder befugt, beliebige Datenbanken mit persönlichen Daten über Internetnutzer anzulegen, solange dabei behauptet wird, man erwäge ein Zivilverfahren gegen Nutzer eigener Lichtbilder.

Die Schweizer und ausländischen Geheimdienste sammeln ohnehin schon genügend Daten über die Schweizer Internetnutzer. Artikel 77i vereinfacht ihnen diese Arbeit und ermöglicht ihnen, diese zur ökonomischen Erpressung und politischen Beeinflussung der Schweizer Bürger zu missbrauchen.

Das ist genau einer der Gründe, warum die Schutz der Privatsphäre heute eher verstärkt und nicht abgeschwächt wird. Der Artikel 77i des Bundesrats hebelt hingegen den Datenschutz aus und öffnet Angreifern Tor und Tür.

Fazit

Der vorgeschlagene Art 77i hat viele negative Auswirkungen auf unbescholtene Bürger und auf Politik und Demokratie. Deshalb ist der Artikel 77i ersatzlos aus dem Revisionsentwurf des URG zu streichen.

Da der Bundesrat schon zugesagt hat, dass Downloads auch nach der Revision des URG straffrei bleiben sollen, wird es ihm auch mit dem Artikel 77i nicht gelingen, die Schweiz aus der schwarz-grauen Liste der “Piraterie-Freihäfen” der US-Unterhaltungsindustrie zu entfernen. Deshalb ist der auf Druck der USA zustande gekommene Vorschlag zur Revision des URG gänzlich zurückzuweisen.

Ceterum Censeo

Auch die Verwertungsgesellschaften, die Handlanger der US-Oligopole, erhalten im bundesrätlichen Entwurf zur Revision des Urheberrechts sehr weit gehende neue Rechte, Datensammlungen über alle Internetnutzer anzulegen, denn alle Internetnutzer sind gemäss URG “Nutzer” und deshalb zur Zahlung der pauschalen Zwangsabgaben ohne Werkbezug (für Privatkopien und eine Unmenge von anderen “Vergütungen”) verpflichtet:

4. Kapitel: Auskunftspflicht gegenüber den Verwertungsgesellschaften

Art. 51

1 Soweit es ihnen zuzumuten ist, müssen die Werknutzer und -nutzerinnen den Verwertungsgesellschaften alle Auskünfte, welche diese für die Gestaltung und die Anwendung der Tarife sowie für die Verteilung des Erlöses benötigen, in einer Form erteilen, die dem Stand der Technik entspricht und eine automatische Datenverarbeitung zulässt.

1bis Zugelassene Verwertungsgesellschaften sind berechtigt, die nach diesem Artikel erhaltenen Auskünfte untereinander auszutauschen, soweit dies zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlich ist.

**2 Die Verwertungsgesellschaften sind verpflichtet, Geschäftsgeheimnisse zu wahren.

Nicht nur wird den Verwertungsgesellschaften mit diesem Artikel erlaubt, die Privatsphäre aller “Werknutzer” mittels Sammlung eine grossen Menge von Daten zu verletzen. Sie sollen auch noch verpflichtet werden, alle Angaben über ein Internet-Portal der Verwertungsgesellschaften einzugeben. (Wer einen Internetanschluss hat, bezahlt schon über die monatliche Anschlussgebühr reichlich pauschale Zwangsabgaben an die Verwertungsgesellschaften!)

Deshalb ist den Verwertungsgesellschaften das Recht auf Einzug von pauschalen Zwangsgebühren zu entziehen und nicht zu erleichtern. Diese sind gänzlich aus dem Gesetz zu streichen und auf ihre ursprüngliche Aufgabe des Verwertens der Werke ihrer Mitglieder zurückzubinden.