Angemessenheitsprüfung für Verwertungsgesellschaften

Hartwig Thomas, 03.01.2018


Die Angemessenheit der Geschäftsführung der Verwertungsgesellschaften muss überprüft werden

Im Entwurf für ein modernisiertes Urheberrechtsgesetz (URG), der vom Bundesrat in die Vernehmlassung gegeben wurde, war der Umfang der Aufsicht über die Geschäftsführung Verwertungsgesellschaften , welche das Institut für geistiges Eigentum (IGE) wahrzunehmen hat, in Artikel 53 gegenüber dem heutigen Umfang der blossen Überwachung um die Prüfung ihrer Angemessenheit erweitert worden.

Die Verwertungsgesellschaften wehrten sich gegen diese Erweiterung der Aufsichtskompetenz des IGE mit dem Argument, dass schon Vorstand und Revision die Geschäftsführung auf ihre Angemessenheit zu prüfen verpflichtet sind und eine nochmalige Prüfung der Angemessenheit auf leere Bürokratie hinauslaufe.

Der Bundesrat hat dem Druck der Verwertungsgesellschaften stattgegeben und die ursprünglich geplante Erweiterung der Aufsichtskompetenz des IGE im aktuellen Entwurf zur Revision des URG fallen gelassen.

Dem Parlament ist aber zu empfehlen, die Prüfung der Angemessenheit der Geschäftsführung der Verwertungsgesellschaften durch das IGE in das revidierte URG aufzunehmen.

Spannungsfeld: privat – öffentlich

Die Heftigkeit, mit der sich die Verwertungsgesellschaften gegen die vorgeschlagene Neuerung wehrten, lässt vermuten, dass es wohl doch nicht nur um zusätzlichen bürokratischen Aufwand geht, der ja wohl vor allem beim IGE und nicht bei den Verwertungsgesellschaften anfallen würde. Sowohl Revision als auch Vorstand sind Partei, da sie von der zu überprüfenden Instanz bezahlt werden.

So hat etwa der Vorstand von den Mitgliedern der Verwertungsgesellschaft den Auftrag erhalten, in deren Interesse zu handeln. Folglich ist er dazu verpflichtet, die Schädigung der Interessen der Öffentlichkeit zugunsten der Mitglieder zu billigen.

Auch die Revisionsgesellschaft wird von der Verwertungsgesellschaft bezahlt und prüft die An­gemessenheit der Geschäftsführung nur aus der Perspektive der Rechnungslegung der Gesellschaft und nicht im Hinblick auf die Interessen der pauschale Zwangsbeiträge leistenden Allgemeinheit, von denen die Verwertungsgesellschaft alimentiert wird.

Die Verwertungsgesellschaften (vier Genossenschaften und ein Verein) begründen die weitgehende Verweigerung der Auskunft über ihre Geschäftstätigkeit jeweils damit, dass eine solche nur dem Vorstand und damit indirekt den Mitglie­dern geschuldet sei. Eine aus dem Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) resultierende Auskunftspflicht wird regelmässig verneint.

Im aktuellen Entwurf zum revidierten URG sollen nun die Kompetenzen und Einnahmen der Verwertungsgesellschaften und die pauschalen Zwangsabgaben der Allgemeinheit massiv verstärkt werden. (Pauschale Zwangsabgaben für Wissenschaft, verwaiste Werke, Fotos, erweiterte Kollektivlizenz, …) Deshalb geht es nicht an, dass die Verwertungsgesellschaften weiterhin ihr Geschäftsgebaren als reine Privatsache behandeln.

Im Folgenden werden zur Illustration einige Fälle aufgeführt, wo die Interessen der zahlenden Öf­fentlichkeit mit der Privatsphäre der Verwertungsgesellschaften in der Vergangenheit kollidierten.

Löhne der Geschäftsleitung

Bis 2009 die Nationalrätin Leutenegger Oberholzer im Parlament die Offenlegung der Löhne der Geschäftsleitung erzwang, waren auch diese Privatsache der Verwertungsgesellschaften. Die damalige beträchtliche und unübliche Höhe dieser Löhne führte zu einem allgemeinen Protest in der Öffentlichkeit. Sie wurden in der Folge vom Parlament „gedeckelt“. Seit 2009 werden sie in den Geschäftsberichten aufgeführt. Die seither neu eingestellten Geschäftsführer müssen sich denn auch mit deutlich tieferen Löhnen zufrieden geben.

Trotzdem wurde von einer Verwertungsgesellschaft versucht, diese „Deckelung“ mit einer massiven Pensionskassenzahlung des Direktors zu umgehen. Dies konnte man immerhin den sehr klein gedruckten Fussnoten im Geschäftsbericht entnehmen, wenn es auch den meisten Mitgliedern der Gesellschaft entgangen sein dürfte. Da die Angemessenheit dieser Zahlung vom IGE nicht beurteilt werden konnte, stimmte die Aufsichtsbehörde zu. Die Eidgenössische Finanzkon­trolle bestreitet nun allerdings die Angemessenheit und es ist denkbar, dass der ehemalige Geschäftsführer die schnell verdienten 1.75 Mio Franken wieder zurückzahlen muss.

Tarifgrundlagen

Eine weitere „Privatsache“ der Verwertungsgesellschaften sind die „wissenschaftlichen Grundlagen“, auf denen die Tarife der pauschalen Zwangsabgaben ohne Werkbezug beruhen, welche diese einziehen.

Auf der gemeinsam von den Verwertungsgesellschaften betriebenen Website Swisscopyright steht: „Für die Berechnung der Tarife wird von wissenschaftlichen Erhebungen ermittelt, wie viel Speicher durchschnittlich für geschützte Werke genutzt wird, und nur darauf wird eine Vergütung erhoben.“

Ähnliches wird von der Fotokopier- und der Netzwerkgebühr (GT 8/GT 9) behauptet, die von allen Unternehmen in der Schweiz bezahlt werden muss – ob sie nun einen Fotokopierer benutzen oder nicht.

Wer nun wissen will, wie die Statistik der Privatkopie von Musik auf Smartphones genau aussah, um die pauschale Zwangsabgabe von 30 Franken pro Gerät zu begründen, erhält die Auskunft, dass die „wissenschaftlichen Erhebungen“ Privateigentum der Verwertungsgesellschaften sind und eine Veröffentlichung nicht vorgesehen ist und auch mittels Öffentlichkeitsgesetz nicht erzwungen werden kann. (Dafür klagen die Verwertungsgesellschaften laut darüber, dass im Gesetz eine Limite von 10% des Verkaufspreises eines Geräts oder Leerträgers ihrer Begehrlichkeit eine Grenze setzt.)

Von der „Wissenschaftlichkeit“ dieser Erhebungen ist offenbar nicht viel zu halten, denn Wissenschaftlichkeit beweist sich mit der Überprüfbarkeit durch beliebige unabhängige Dritte, die nicht im Sold der Verwertungsgesellschaft stehen.

Gemäss Artikel 60 des URG wäre es zwar Aufgabe der Eidgenössischen Schiedskommission, wenigstens die Tarife der pauschalen Zwangsabgaben auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Da deren Personalien schon immer eng mit denjenigen der Verwertungsgesellschaften verwoben waren, darf ihre Unabhängigkeit bezweifelt werden. Jedenfalls sind die Nettozahler der Zwangsabgaben nicht einmal ernsthaft als Partei vor diesem “Schiedsgericht” zugelassen. Einer Offenlegung der Grundlagen der Angemessenheit eines Tarifs entzieht sich die Schiedskommission jeweils mit dem Argument, dass sie eine richterliche Funktion ausübe und darum dem BGÖ nicht unterstellt sei.

Buchhaltungsfehler

Wer die Jahresbericht der ProLitteris aufmerksam liest, dem fallen gelegentlich schlichte Buchhaltungsfehler auf. Der Abschluss des Vorjahres stimmt manchmal nicht mit der Eröffnung des Geschäftsjahres überein.

Ausserdem sind die ausbuchten Zahlungen an die Vorsorgestiftung oft nicht identisch mit den von dieser Stiftung ausgewiesenen Einzahlungen.

Wer genauere Auskunft über diese Diskrepanzen verlangt, erhält schlicht keine Antwort. Schon die bestehende Aufsichtspflicht des IGE über die ordentliche Geschäftsführung müsste eigentlich dazu ausreichen, um hier Klarheit zu schaffen.

Eine anderer Buchhaltungsinkonsistenz in Form von schlicht falschen Summierungen findet man auf der gemeinsamen Seite Swisscopyright der Verwertungsgesellschaften. Auf die Bitte um Klärung dieser Diskrepanzen fand immerhin eine vom IGE einberufene Sitzung von zwei Vertretern des Vereins Digitale Allmend mit den Direktoren der SUISA und der Swissperform statt, aber die von den Verwertungsgesellschaften zugesagte Klärung traf nie bei der Digitalen Allmend ein.

Wenn das IGE das Recht der Prüfung der Angemessenheit der Geschäftsprüfung hätte, könnte es die Revisionsgesellschaft befragen oder die Buchhaltungsunterlagen direkt konsultieren. Heute ist die Öffentlichkeit darauf angewiesen, ob die Verwertungsgesellschaften sich gnädigst dazu bequemen, offenzulegen, wie sie mit den von der Öffentlichkeit kassierten Zwangsbeiträgen umgehen.

Ungute Verquickung von Verwertungsgesellschaft, Vorsorgestiftung, Bauführerschaft und Immobilienwirtschaft

Den Jahresberichten der ProLitteris entnimmt man, dass der Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft ProLitteris auch die Geschäfte der Vorsorgestiftung führt. Deren Vermögen ist zu einem beträchtlichen Teil in der Luxusimmobilie an der Universitätsstrasse 100 in Zürich angelegt, welche der ProLitteris als Geschäftssitz dient. Somit hat er die Kompetenz, die privaten Wohnungen an dieser begehrten Wohnlage zu einem von ihm selbst festgelegten günstigen Preis an Mieter seiner Wahl zu vermieten. Auch die Baufirma, welche nicht nur diesen Prunkbau für den Direktor realisieren durfte, sondern auch von ihm den Auftrag erhalten hat, das Coninx-Museum zu mo­dernisieren, residiert im selben Gebäudekomplex zu günstigen Konditionen.

Da die in der ProLitteris zusammengeschlossenen Autoren keine Übersicht über ihre Anrechte auf Vorsorgebeiträge von der ProLitteris haben, fällt es nicht auf, wenn deren Einnahmen in keinem angemessenen Verhältnis zu ihren Ausschüttungen stehen.

Verteilung

Auch die Verteilung der Einnahmen aus den pauschalen Zwangsabgaben müsste genauer auf ihre Angemessenheit geprüft werden. Zwar werden schon heute gemäss Artikel 48 des URG die Verteilungsreglemente vom IGE genehmigt. Sie sind aber oft derart undurchschaubar mit hunderten von komplizierten Formeln gespickt, dass eine Angemessenheit der Umsetzung durchaus bezweifelt werden darf. Diese wird sicher weder von der Revisionsgesellschaft noch vom Vorstand ernsthaft geprüft.

Gemäss neuestem EU-Beschluss dürfen Verwertungsgesellschaften die Einnahmen aus pauschalen Zwangsabgaben nur an Urheber und nicht an Verleger verteilen. In Deutschland hat die IG Wort seither die Zahlungen an Verleger sistiert. In der Schweiz sind es jedoch immer noch die (mehrheitlich ausländischen) Verleger, welchen den grössten Teil (ca. 80%) der Subventionen erhalten. Eine Angemessenheitsprüfung der Ver­teilung wäre hier also schon am Platz.

Es kann nicht der Sinn der Subventionierung mit pauschalen Zwangsabgaben sein, dass wir das nächtliche Abspielen der Landeshymne am Staatsradio als Ausdruck des Publikumserfolgs der Aufführung bewerten und sie deshalb als Hit­paradensieger am höchsten subventionieren, wie das aus einem Jahresbericht der Swissperform hervorgeht.

Auch ist füglich zu bezweifeln, dass das Volk oder die Parlamentarier, welche das URG formuliert haben, wirklich bezweckten, dass aus pauschalen Zwangsabgaben für leere CDs die deutsche Pornographieverwertungsgesellschaft GÜFA von den Schweizer Verwertungsgesellschaften alimentiert wird.

Fazit

In einem Punkt muss man den Verwertungsgesellschaften Recht geben: Die Angemessenheit der Geschäftsführung kann vom IGE nicht geprüft werden, solange der Massstab nicht im Gesetz klar geregelt ist, nach dem geprüft wird.

Deshalb schlage ich vor, die Verwertungsgesellschaften völlig zu entstaatlichen. Das heisst, sie bestehen als private Organisationen der Urheber fort und können auch deren Werke kollektiv und individuell verwerten, erhalten aber keine pauschalen Zwangsabgaben ohne Werkbezug mehr. Solche haben ohnehin den Charakter einer Bundessteuer für Kultur, deren Erhöhung jeweils vom Volk bewilligt werden müsste. Die heutigen Pauschaltarife für Nutzungen ohne Werkbezug würden hinfällig. (Im Einzelnen kann natürlich eine Sendeanstalt, ein Theater oder ein Veranstalter mit einer Verwertungsgesellschaft pauschale Tarife vereinbaren.) Die staatliche Garantie des Spartenmonopols der heutigen fünf Schweizer Verwertungsgesellschaften würde aufgehoben, wie dies ja heute schon von der EU gefordert wird.

Weil dann kein Interessengegensatz zwischen der zahlenden Öffentlichkeit und den kassierenden Mitgliedern der Gesellschaften besteht, muss auch keine Angemessenheit mehr geprüft werden. Solange die Verwertungsgesellschaften aber nicht entstaatlicht sind, ist jedoch eine Ausdehnung der Prüfung der Geschäftsführung der Verwertungsgesellschaften durch das IGE, welches die Interessen der Öffentlichkeit vertritt und dem Öffentlichkeitsgesetz unterstellt ist, dringend notwendig, wie die oben aufgeführten Beispiele zeigen.