Pauschale Zwangsabgaben
Seit der Revision des Urheberrechts von 1992 besteht in der Schweiz ein System von Zwangsabgaben von allen Unternehmen für die Verwertungsgesellschaften, welche im Namen der Kultur- und Medienschaffenden eingefordert werden.
Diese, damals als “Fotokopiergebühr” (Gemeinsamer Tarif GT 8) bezeichnete und später um eine Netzwerkgebühr (GT 9) ergänzte Zwangsabgabe soll gewisse Nutzungen von Werken (“Eigengebrauch”) abgelten, welche den Unternehmungen im Gegenzug zugestanden werden. Sie müssen den Verwertungsgesellschaften bezahlt werden, die dann aus diesen Einnahmen die Urheber und Rechteinhaber dieser Werke auszahlen. (Seit dem 1. Januar 2023 ist eine neue Version dieser Zwangsabgaben in Kraft. Diese unterscheidet sich nicht wesentlich von der hier zitierten Vorgängerversion, auf welche sich der folgende Text bezieht.)
Dafür dürfen die Betriebe geschützte Werke (publizierte Texte, Fotografien, Musiknoten, …) – der aktuelle Tarif GT 8 für Unternehmen spezifiziert “Ausschnitte von geschützten Werken”, zitiert dann aber das URG, wo eine solche Einschränkung fehlt – für die interne Information und Dokumentation des Betriebs frei vervielfältigen oder über ein Netzwerk zugänglich machen (s. GT 8, Ziffer 5, GT 9, Ziffer 4). Ausserdem werden noch interne “Pressespiegel” bzw. “Medienspiegel” erwähnt, die aber ohnehin schon in der ersten Formulierung enthalten und heute völlig aus der Mode gekommen sind. Dabei ist allerdings das Abspeichern gestreamter Werke explizit verboten. Da heutzutage fast alle Werke “im Rahmen von On-demand-Diensten bzw. Near-on-demand-Diensten” – so wird das Streaming im GT 9 umschrieben – veröffentlicht werden, bleiben eigentlich keine frei für den Eigengebrauch nutzbaren Werke übrig, der mit den pauschalen Zwangsabgaben teuer erkauft wird. Denn nicht abgabepflichtig sind gemäss GT 8: Computerprogramme, Jahres- und Geschäftsberichte, Protokolle, Werbeprospekte, Informationsmaterial, Formulare, Statistiken, Gebrauchsanweisungen, Warenkataloge, Mitgliederzirkulare von Verbänden, Gesetze, Verordnungen, völkerrechtliche Verträge und andere Erlasse, – Zahlungsmittel wie Banknoten, Bankchecks, Reisechecks usw., – Entscheidungen, Protokolle und Berichte von Behörden und öffentlichen Verwaltungen (Verfügungen, Beschlüsse, Begründungen, Merkblätter, amtliche Mitteilungen, Vernehmlassungsunterlagen usw.) und selbstverständlich auch von den Urhebern völlig freigegebene Inhalte wie etwa Wikipedia-Artikel.
Die Zwangsabgaben werden pauschal erhoben ohne Rücksicht darauf, ob einzelne Betriebe von diese Nutzungsmöglichkeiten Gebrauch machen oder nicht. Die Verwertungsgesellschaften nennen das schönfärberisch “Kollektivverwertung” und vernachlässigen darob die Verwertung einzelner Werke ihrer Mitglieder. Denn diese wäre zwar für diejenigen Kultur- und Medienschaffenden profitabler, die ehrliche Leistungen beim Schaffen von Werken erbracht haben, ist aber für die Administratoren in den Verwertungsgesellschaften sehr viel weniger lukrativ. Begründet wird die Pauschalität der Abgaben mit dem Aufwand, den eine differenzierte Veranlagung gemäss tatsächlicher Nutzung (Individualverwertung) mit sich bringen würde. Neben den Tarifen GT 8 und GT 9, die von fast allen rund 600’000 Unternehmen und vielen weiteren Institutionen in der Schweiz eingefordert werden, gibt es noch rund 50-100 weitere “gemeinsame Tarife” für Schulen, Universitäten, Spitalbetten mit WLAN, leerstehende Ferienhäuser, Altersheime, Blindenbibliotheken, Gaststätten, Kirchen und viele andere Teilbereiche der Gesellschaft. Alle diese pauschalen Abgaben müssen gemäss Gesetz an die Verwertungsgesellschaften bezahlt werden.
Die Schweizer Verwertungsgesellschaften sind fünf private Zusammenschlüsse – Genossenschaften oder Vereine – von Kulturschaffenden, die gemäss Urheberrechtsgesetz (URG) diese öffentliche Rolle der Zahlstellen ausüben. Gemäss Art. 60 des URG müssen die Tarife der pauschalen Zwangsabgaben der Verwertungsgesellschaften angemessen sein.
Die Angemessenheit der von den Verwertungsgesellschaften vorgelegten Tarife ist alle fünf Jahre von einer Eidgenössischen Schiedskommission neu zu prüfen. Der Gesetzgeber hat diese Schiedskommission eingesetzt, damit die Forderungen der Verwertungsgesellschaften nicht in den Himmel wachsen. Gemäss Artikel 59 des URG muss die Eidgenössischen Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK) die Tarife auf Angemessenheit prüfen, bevor sie sie genehmigt.
Angemessenheit der Tarife ist gemäss Artikel 60 des URG gegeben, wenn die Entschädigungen (pauschalen Zwangsabgaben)
- in einem angemessenen Verhältnis zum durch die Nutzung erzielten Ertrag stehen,
- die Art und Anzahl der Nutzungen angemessen berücksichtigen,
- das Verhältnis von geschützten und ungeschützten Werken berücksichtigen.
Die Zwangsabgaben dürfen höchstens 13% (10% für Urheberrechte und 3% für verwandte Schutzrechte) des Nutzungsertrags oder -aufwands betragen.
Diese Forderung der Angemessenheit entspricht dem Prinzip der Verhältnismässigkeit gemäss Art. 5 der Schweizer Bundesverfassung und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Im Gegensatz zum alltagssprachlichen Gebrauch sind die Worte «nutzen» und «Nutzung» im Zusammenhang mit dem Urheberrecht nicht gleichbedeutend mit den Worten «konsumieren» und «Konsum». Der Konsum oder Genuss urheberrechtlich geschützter Werke ist vom Urheberrecht in keiner Weise eingeschränkt. Darum ist in der Schweiz auch grundsätzlich jeglicher Download legal. Ausnahmen (Kinderpornographie, IS-Propaganda, …) sind nicht urheberrechtlich begründet. Wenn in den von der Klägerin aufgeführten Tarifen GT 8 und GT 9 von «nutzen» und «Nutzungen» die Rede ist, geht es nicht um den Genuss oder das Wahrnehmen von Werken, sondern darum, dass ein gewisser Nutzen aus dem «Gebrauch» der Werke gezogen wird. Es ist hier auch nicht von einem ideellen Nutzen die Rede, etwa dass man nach der Lektüre klüger oder fröhlicher oder kenntnisreicher geworden ist. Vielmehr geht es um den materiellen Nutzen, den die SBB etwa aus einem Pressespiegel ziehen, den sie ihren ca. 30’000 Mitarbeitern zugänglich macht, indem sie für diese nicht 30’000 einzelne Artikel erwerben müssen.
Für die erwähnten Gemeinsamen Tarife 8 und 9 tritt die Verwertungsgesellschaft ProLitteris als Instanz auf, der die Zwangsabgaben zu bezahlen sind. Die Einnahmen werden danach teilweise auch an andere Verwertungsgesellschaften unterverteilt.
Die Zwangsabgaben sind unangemessen
Da die Zwangsabgaben pauschal erhoben werden, muss die gesetzliche Definition der Angemessenheit auf das Total aller Entschädigungen und Nutzungen angewendet werden. Die totalen Einnahmen aus den pauschalen Zwangsabgaben müssen in einem angemessenen Verhältnis zum totalen Ertrag aus Nutzungen für den Eigengebrauch stehen. Da der Aufwand für das Herstellen von Vervielfältigungen meistens grösser ist als der Kaufpreis für ein Werkexemplar, werden solche Vervielfältigungen in Unternehmen kaum mehr hergestellt und der totale Ertrag aus den Nutzungen liegt weit unter den CHF 12’325’073, die 2021 von den Verwertungsgesellschaften eingezogen werden.
Angemessenheit wäre gegeben, wenn die Mehrheit der tariflich zur Zahlung verpflichteten Unternehmen lieber den Tarifbetrag bezahlten, als für die «Nutzung» für den Eigengebrauch die normale Gebühr zu bezahlen. Die Mehrheit der Unternehmen würde jedoch lieber die normale Gebühr bezahlen (z.B. alle Artikel einzeln kaufen, auf die sie ihre Mitarbeitern hinweisen möchten.) Denn die pauschalen Tarife sind um Grössenordnungen höher festgelegt als der Nutzen aus der freien Nutzung für Pressespiegel und den Eigenbedarf. Es besteht also kein «angemessenes Verhältnis zum durch die Nutzung erzielten Ertrag» (Art. 60, Litera a, URG). Es handelt sich hier um eine tarifexterne Unangemessenheit, weil die Höhe der Tarife nicht mit dem Nutzen in der realen Welt übereinstimmt.
Die Art und Anzahl der Nutzungen ist nicht angemessen berücksichtigt, wenn eine Informatik-Firma mit einem einzigen Angestellten mit einem Jahresgehalt von CHF 12’000 gleich viel bezahlen muss wie eine Informatik-Firma mit 19 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehreren Millionen (s. GT 8 und GT 9).
Zudem wird natürlich in einer Einpersonenfirma überhaupt nie eine Kopie eines ehrlich gekauften Werkexemplars «genutzt» und an «alle internen Mitarbeiter» verteilt. Denn der Konsum von Werken ist gebührenfrei, nur die «Nutzung» von Kopien ist vom Urheberrecht eingeschränkt. Wenn Mitarbeiter einer Einpersonenfirma ein solches Werk referenzieren wollen, wird immer das Original konsultiert. Der Nutzen des freien Kopierens zum Eigengebrauch beträgt also bei allen Einpersonenfirmen CHF 0.00 und die Zwangsabgabe ist unendlich mal grösser als der Nutzen und somit hochgradig unangemessen. Offenbar gehen die Tarife GT 8 und GT 9 davon aus, dass alle in Einpersonenfirmen arbeitenden Informatiker schizophren sind und deshalb per Kopie oder Upload mit sich selber kommunizieren müssen. Verlage müssen diese Zwangsabgaben erst bezahlen, wenn sie mindestens zwei Mitarbeiter haben, und Radio- und Fernsehbetriebe benötigen mindestens fünf Mitarbeiter um abgabepflichtig zu werden (s. GT 8 und GT 9).
Die Art und Anzahl der Nutzungen ist ebenfalls nicht angemessen berücksichtigt, wenn eine Kleinfirma das Zwanzigfache bis Fünfzigfache dessen bezahlen muss, was die SBB, UBS oder das SRF pro Mitarbeiter für ihre Nutzungen zahlen. Gemäss Tarif melden diese grossen Firmen ihre «Gesamtkopienmenge» der ProLitteris und müssen 2.25% davon als pauschale Zwangsabgabe bezahlen. Die Gesamtkopienmenge beläuft sich in einem Einpersonenbetrieb auf rund 2500 Blatt Druckerpapier pro Jahr zum Preis von CHF 45.00, womit der – mindestens im Vergleich mit Grossfirmen – angemessenere Forderungsbetrag CHF 1.0125 betragen würde (s. GT 8 und GT 9).
Es ist im Übrigen nicht einzusehen, warum alle Betriebe mit weniger als 500 Mitarbeitern viele dem Geschäftsgeheimnis unterstehenden Einzelheiten auf der unsicheren Plattform der Verwertungsgesellschaften eingeben müssen, statt dasselbe einfache Verfahren zu nutzen wie die Grossfirmen. Diese Plattform kann keinen angemessenen Datenschutz garantieren. Wenn dann der Datensatz im Darknet auftaucht, wird ihn wohl jemand gewinnbringend verkauft haben.
Bei diesen Fällen von Unangemessenheit bezüglich Art und Anzahl der Nutzungen handelt es sich um tarifinterne Unangemessenheiten, welche aus der Struktur der Tarife entstehen ohne Ansehen der absoluten Höhe der Zwangsabgaben.
Die Veränderungen der Gesellschaft und der Medien verändern die Angemessenheit der Tarife laufend. Die Nutzung «ungeschützter» Werke – wie etwa Wikipedia – hat die Nutzung «geschützter» Werke zum Zweck der firmeninternen Information und Dokumentation weitgehend abgelöst. Würden die Tarife jeweils bei ihrer alle fünf Jahre erfolgenden Erneuerung auf Angemessenheit geprüft, müssten die Zwangsabgaben in den letzten zwei Jahrzehnten laufend abgenommen haben. Stattdessen wurden sie immer erhöht und betragen heute gegenüber 2002 ungefähr das Doppelte.
Die Verwertungsgesellschaften versuchen die Angemessenheit ihrer Forderungen damit zu begründen, dass diese Erhöhungen ungefähr der Entwicklung des Bruttoinlandprodukts (BIP) entsprechen.
Dies beruht auf einer dem Gesetz widersprechenden Definition der Angemessenheit pauschaler Zwangsabgaben für die Nutzung von Urheberrechten. Denn bei diesen handelt es sich angeblich nicht um eine den Stimmbürgern vorgelegte Wirtschaftssteuer, die mit dem BIP wächst oder fällt, sondern um eine Abgeltung von Nutzungen geschützter Werke (vor allem Presseartikeln) zum Zweck der firmeninternen Kommunikation und Dokumentation. Die Gesamtzahl dieser Werke (Presseartikel und Medienbeiträge) hat in den letzten zwanzig Jahren deutlich abgenommen. Dies wurde zuletzt im Abstimmungsbüchlein zu einer neuen Presse- und Mediensubvention vom Bund und den Medienvertretern ausführlich belegt. Auch die Initianten eines neuen Leistungsschutzrecht reden vom Zeitungssterben. Es besteht kein Zweifel, dass die Anzahl geschützter Medienerzeugnisse (Artikel, etc.) pro Jahr heute verglichen mit 2002 nur noch einen Viertel beträgt. Ihre Funktion wurde durch freie, ungeschützte Netzpublikationen wie der Wikipedia übernommen. Wären die Tarife damals angemessen gewesen, müssten sie heute einen Viertel der damaligen Forderungen betragen.
Auch diese Unangemessenheit bezüglich dem Verhältnis von geschützten zu ungeschützten Werken hat tarifexternen Charakter, denn sie stellt die Unverhältnismässigkeit der Höhe der Zwangsabgeben zum Nutzen in der realen Welt in Frage.
Da kein angemessenes Verhältnis zwischen der Höhe der Zwangsabgaben und dem Nutzen besteht, ist es auch unredlich, die pauschalen Zwangsabgaben «Gebühren» zu nennen, mit denen eine Leistung der Kultur- und Medienschaffenden bezahlt wird. Denn mit den Zwangsabgaben wird keine entsprechende Leistung honoriert.
Giesskannenvorteile
Auch die Kultur- und Medienschaffenden selber wollten 1992 wohl nur die Unternehmer den Strick bezahlen lassen, an dem sie sie aufhängen wollten und keine «Gebühren» für tatsächlich erbrachte Leistungen erheben.
Wenn es sich bei diesen Abgaben tatsächlich um «Gebühren» für kopierte, «genutzte» Werke handeln würde, dann müssten die Erträge aus diesen Abgaben an die Urheber und Rechteinhaber dieser Werke gehen. Tatsächlich werden diese Erträge aber im Giesskannenprinzip auf alle Mitglieder der ProLitteris ausgegossen. Die Verteilung wird in einem Verteilungsreglement geregelt. Dieses wird – wie die Tarife – im Fünfjahres-Rhythmus vom Institut für Geistiges Eigentum (IGE) bewilligt. Seine Anwendung wird jedoch weder vom Bund noch von einer internen Instanz der Verwertungsgesellschaft kontrolliert. Es ist äusserst undurchsichtig formuliert. So kann etwa aus den Angaben im Absatz 15.9.2.3 kein Kultur- oder Medienschaffender einen einklagbaren Anspruch ableiten. Alle Empfänger der Verteilung erhalten ihre kleinen Vorteile nicht als ihnen zustehendes Recht, sondern eher als Geschenk der Verwaltung der ProLitteris. Nicht nur der Partner der Bundesrätin, die gerade eine weitere Stärkung der Einnahmen der Verwertungsgesellschaften im Urheberrecht durchpaukt, erhält nach Jahresende seinen kleinen Obolus. (Kein Unternehmer käme je auf die absurde Idee, ein belletristisches Buch zu kopieren, weil er es zu einem Preis kaufen kann, der deutlich kleiner ist als der Kopieraufwand.) Auch der Jus-Professor im Nationalrat erhält sein kleines Scherflein für seine auf dem Uni-Netz publizierten Skripts. (Dies betrifft den GT 7, der aber den GT 8 und GT 9 enthält und im selben Verteilreglement abgehandelt wird.) Ein anderer Jus-Professor in derselben Lage, der nicht im Nationalrat sitzt, erhält nichts. Alle möglichen Akademiker, Richter, Anwälte werden mit der Giesskanne beglückt. Und selbstverständlich auch diejenigen Medienschaffenden, welche nicht müde werden, die moralische, gesellschaftliche und ökonomische Vernichtung aller Unternehmen und Unternehmer zu propagieren. Deren Werke tragen nur zum Schaden, nicht zum Nutzen der Unternehmen bei. Trotzdem erhalten sie eine «Vergütung» für die Pressespiegel und Dokumentationen der Unternehmen, in denen ihre Mach-«Werke» nie auftauchen.
Man kann mich nicht dazu zwingen, diskriminierende Propaganda gegen Unternehmer zu finanzieren. Sowohl Bundesverfassung (Art. 8) als auch die EMRK (Art. 9 und 14) verbieten vielmehr, Hass und Hetze zu fördern.
Man hat mich schon gefragt, warum ich wegen eines so kleinen Betrags wie CHF 45.50 pro Jahr, die Mühe auf mich nehme, mit der ProLitteris juristisch zu streiten. Dieselbe Frage könnte man an die Kulturschaffenden stellen, die für die CHF 20.00, welche sie pro Jahr erhalten, eine sehr problematische Institution durch dick und dünn verteidigen. Ich bezahle freiwillig mehr als das zehnfache dieses Betrags für meine private Kulturförderung, wie man etwa fast jedem Buch oder Album des Verlags Edition Moderne der letzten dreissig Jahr entnehmen kann. Ich wehre mich nicht gegen die Förderung von Kultur sondern gegen die Förderung des unrechtmässigen «Selfservice public».
Denn es ist die Blaupause einer förmlich nach Selbstbereicherung zwielichtiger Elemente schreienden öffentlichen sozialen Institution zur Förderung benachteiligter Teile der Gesellschaft: Man zwinge möglichst viele Leute, Steuern oder Abgaben in einen Topf einzuzahlen. Man entkopple Einzahlungen und Auszahlungen so, dass niemand ein einklagbares Recht auf Auszahlung geltend machen kann. Und man übergebe die Verwaltung des Topfs einer halb-privaten Institution, die sich auf Geschäftsgeheimnis und Datenschutz berufen kann, um die Abwicklung ihrer Geschäfte geheimzuhalten.
So bedienten sich die Mitarbeiter der ProLitteris anfangs in den Neunzigerjahren grosszügig, indem sie mehr als 70% der Einnahmen aus den Zwangsabgaben an sich selber für «Administration» auszahlten. Nachdem sie von Politikern gezwungen wurden, höchstens 25% administrative Ausgaben abzurechnen, fingen sie an, den neuen Granitpalast an der Universitätsstrasse 100 zu bauen. Die Baukosten wurden buchhalterisch als Investitionen aktiviert. Der Bauherr war der Architekt aus Süditalien, der schon die komfortable Villa Coninx am Zürichberg renovieren durfte, welche der Geschäftsführer der ProLitteris als Präsident der Coninx-Stiftung praktisch mietfrei bewohnte. Ebenso weitgehend mietfrei betrieb dieser Architekt seine Geschäftsräume an der Winkelriedstrasse 2, welche ein Anbau des Bürogebäudes an der Universitätsstrasse 100 war. Während die anderen Verwertungsgesellschaften während der Finanzkrise Verluste auf ihren Investitionen vermelden musste, wurde die Liegenschaft von der ProLitteris einfach höher bewertet und die «Investitionen» flossen nach Süditalien.
Ein weiterer solcher Topf war die Fürsorgestiftung der ProLitteris, die vom Geschäftsführer der ProLitteris in Personalunion verwaltet wurde. Hier liegen zwischen Einzahlung und Auszahlung viele Jahre und kein einziger Kultur- oder Medienschaffender hat einen einklagbaren Anspruch auf eine Pension aus diesem Topf.
So verschwanden zwischen der Auszahlung bei der ProLitteris und der Einzahlung bei der Fürsorgestiftung immer wieder Gelder. Auf meinen Brief, der darauf hinwies, erhielt ich weder von der ProLitteris noch vom IGE eine Antwort. Immerhin reagierte die Eidgenössische Finanzaufsicht, nachdem ich in meinem Buch darauf hingewiesen hatte, dass der Geschäftsführer der ProLitteris und der Fürsorgestiftung CHF 1 Mio aus diesem Topf nahm. Später etablierte die FINMA, dass es CHF 1.75 Mio waren.
Die Angemessenheit der Zwangsabgaben wurde nie überprüft
Eine solche Fehlentwicklung zur privaten Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit kann nur vermieden werden, wenn die Angemessenheit von Abgaben und Auszahlungen von unabhängigen Instanzen streng geprüft wird und somit wieder ein Zusammenhang zwischen Einzahlungen und Auszahlungen hergestellt wird.
Die ersten paar Rechnungen der ProLitteris 1996-1999 beantwortete ich jeweils Briefen, in denen ich deren Nichtbezahlung mit dem fehlenden Nachweis der Angemessenheit und der Verweigerung rechtlichen Gehörs begründete. Auf diese Briefe erhielt ich nie eine Antwort, welche auf meine Einwände einging.
Um den Missbrauch öffentlicher Gelder zu vermeiden, muss die Prüfung der Angemessenheit nicht nur streng sondern auch öffentlich einsehbar sein. Die vom Gesetz vorgesehene für die Prüfung der Angemessenheit der Tarife zuständige Instanz ist die Eidgenössischen Schiedskommission für die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (ESchK).
Diese verstand sich als richterliche Instanz, die in Geheimverhandlungen Tarife festlegt, die nicht einmal vom Bundesgericht umgestossen werden können (URG Art.59, Ziffer 3).
Als ich am 7. November 2018 gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) Einsicht in die Verhandlung und Angemessenheitsprüfung von der ESchK verlangte, wehrte sich diese mit Händen und Füssen durch alle Instanzen bis zum Bundesgericht gegen eine solche Offenlegung.
Die Beschwerde an das Bundesgericht wurde vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) geführt, welches seine Aufsicht über die ESchK wahrnahm. Dem EJPD war offenbar bewusst, dass es seine Aufsichtspflicht seit 1992 in gravierender Weise verletzt hatte, weil die ESchK nie eine Prüfung der Angemessenheit der von ihr abgesegneten Tarife durchgeführt hatte. In dieser Beschwerde des EJPD vom 18. Mai 2020 schrieb Barbara Hübscher Schmuki, Generalsekretärin EJPD (Ziffer 15 der Beschwerde):
Zwar ist es offensichtlich, dass sich die ESchK unter Umständen langandauernde Versäumnisse vorhalten lassen muss, die Konsequenz daraus kann aber gerade aus dem Blickwinkel der Verfassungsrechts einzig sein, dass sie zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustands angehalten wird und nicht, dass sie ihrer Natur als richterliche Behörde verlustig geht.
Das Bundesgericht entschied (1C_333 / 2020) am 22. Oktober 2021, dass mein Antrag auf Einsicht in die Akten der Tarifentscheide berechtigt sei. Im Laufe des Januar 2022 erhielt ich dann von der ESchK die rund 1000 Seiten umfassenden Dokumente, welche die Verhandlungen um den GT 7 (Schulen, Hochschulen, Universitäten) betrafen. (In diesem wurde 2016 der GT 8 und GT 9 zusammengeführt, sodass die Unterlagen auch für diese Tarife relevant sind.)
Aus diesen Unterlagen geht hervor, dass die ESchK 2016 keine Prüfung der Angemessenheit der Tarife GT 7, GT 8 und GT 9 vorgenommen hat. Auch blieben viele Fragen zur Rechtmässigkeit von «Rabatten» und «Leistungen von Dritten» in Millionenhöhe in diesen Tarifen unbeantwortet.
Es ist offensichtlich, dass die ESchK seit 1992 den totalen Ertrag aus Nutzungen für den Eigengebrauch nie erhoben und somit die Angemessenheit der Tarife nie geprüft hat, obwohl eine solche Angemessenheitsprüfung nach Gesetz ihre ureigenste Aufgabe und Existenzberechtigung darstellt.
Der Beschluss der ESchK vom 15. November 2021 zu GT 8 und GT 9 verlängert die Tarife von 2016 um ein Jahr. Offenbar wollte man dem Hinweis des EJPD Folge leisten und einen verfassungsmässigen Zustand herstellen. Dazu hat offenbar ein Jahr Beratung der vielen Interessensvertreter nicht ausgereicht.
Die aktuellen Tarife GT 8 und GT 9 auf denen die Forderung der ProLitteris beruht, entsprechen nicht den gesetzlichen Anforderungen und sind somit nichtig. Die ProLitteris ist anzuhalten, sämtliche Einnahmen aus diesen nichtigen Tarifen an die Unternehmen zurückzuzahlen, um den verfassungsmässigen Zustand wieder herzustellen.
Verweigerung des rechtlichen Gehörs
Für die zur Bezahlung der pauschalen Zwangsabgaben verpflichteten Unternehmer besteht keinerlei Möglichkeit, sich gegen unrechtmässige, unangemessene Tarife zur Wehr zu setzen. Die rund 500’000 Kleinunternehmer sind in der ESchK mit einem einzigen Vertreter des Schweizerischen Gewerbeverbands vertreten. Nur ein sehr kleiner Teil der Kleinunternehmer (maximal 10%) ist indirekt über die regionalen Verbände Mitglied dieses privaten Vereins, dessen politische Ausrichtung vielen nicht zusagt und zu dessen Mitgliedschaft niemand gezwungen werden kann. Der Schweizerische Gewerbeverband wurde nie von seinen Mitgliedern explizit mandatiert, den aktuellen Tarifen zuzustimmen. Wegen der allgemeinen Geheimhaltung der Verhandlungen der ESchK ist auch nicht eruierbar, ob er jeweils von den anderen Mitglieder der ESchK überstimmt wurde.
Andere Interessenvertreter der Kleinunternehmer gibt es im Tariffestsetzungsverfahren nicht. Denn gemäss URG Art. 46 Absatz 2 sind die Interessenvertreter vor der ESchK die Verwertungsgesellschaften und die Nutzerverbände. Dem Vertreter des Schweizerischen Gewerbeverbands stehen somit fünf Verwertungsgesellschaften und mindestens drei Mitglieder der Schiedskommission gegenüber, die so eng mit den Verwertungsgesellschaften verbandelt sind, dass die Präsidentin der Schiedskommission vom 2010 einem zum nächsten Jahr zur Präsidentin einer Verwertungsgesellschaft wechseln konnte. Im Vorstand der grössten Verwertungsgesellschaft, die übrigens genauso wie alle Nutzerverbände verpflichtet ist, die Tarife angemessen zu gestalten, agierte während zehn Jahren bis 2021 eine SP-Ständerätin, die sich vom Milliardär Frederik Paulsen ihre Sommerferien auf seiner Jacht, Reisen nach Russland und Parteispenden schenken liess und Vorstösse zur Einführung eines neuen Leistungsschutzes lancierte, welche diesem viele Millionen einbringen würden bzw. werden und die Ausbeutung der KMU auf einen neuen Hochstand bringt.
Der Versuch Einzelner, sich im Verfahren der Tariffestsetzung einzubringen wurde von der ESchK verhindert mit dem Kommentar:
Mit dem System der kollektiven Verwertung soll dem Grundsatz nach insbesondere ausgeschlossen werden, dass sich einzelne Rechteinhaber am Tarifverfahren beteiligen.
Die halbe Million Kleinunternehmer kann sich gegen die Unrechtmässigkeit auch nicht mittels Anrufung der Rechtsprechung zur Wehr setzen. Denn das Schweizer Urheberrecht hält in Artikel 59 Ziffer 3 explizit fest:
Rechtskräftig genehmigte Tarife sind für die Gerichte verbindlich.
Dies bedeutet, dass den effektiv zur Zahlung der CHF 12 Mio gezwungenen Kleinunternehmern das rechtliche Gehör verweigert wird. Denn nicht einmal das Bundesgericht kann nach diesem Gesetz einen unrechtmässig von der ESchK, die seit Jahrzehnten ihren Auftrag nicht erfüllt, einmal genehmigten Tarif abändern oder umstossen.
Da die ESchK allerdings nie eine rechtmässige Prüfung der Angemessenheit der Tarife GT 8 und GT 9 – etwa auf der Basis der Ermittlung von Durchschnittswerten des Nutzens für die zur Zahlung gezwungenen Unternehmer und ihrer Mitarbeiter – durchgeführt hat, sind all diese Tarife gar nie «rechtmässig genehmigt» worden. Denn die ESchK hatte gemäss Art. 59, Abs. 1, URG die Pflicht, alle fünf Jahre erneut inhaltlich zu prüfen, ob die Tarife angemessen sind. Dies hat sie systematisch unterlassen, indem sie stipulierte, dass eine solche Prüfung nicht nötig sei, wenn sich die «Parteien» (Verwertungsgesellschaften und Nutzervertreter) geeinigt hätten. Nun steht aber im Art. 60, URG nicht, dass ein Tarif angemessen sei, wenn die «Parteien» sich geeinigt hätten, sondern die Höhe der Zwangsabgaben müsse mindestens durchschnittlich in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen. Die zur Entrichtung der Zwangsabgaben gezwungenen Unternehmer, haben nicht einmal als «Partei» Einfluss auf die Festsetzung der Tarife oder eine Einsprachemöglichkeit.
Die Verweigerung des rechtlichen Gehörs steht im Widerspruch zu Grundsätzen in der Bundesverfassung (Art. 29) und der EMRK (Art. 6).
Somit bleibt als Mittel der Abwehr gegen unrechtmässig unangemessen festgelegte nur die Nichtzahlung der Forderung der Verwertungsgesellschaften. Zu diesem Mittel hat die Enter AG Zuflucht genommen, um die hier dargelegte Unrechtmässigkeit der Tarife vor ein höheres Gericht zu bringen.
Auch wenn die ESchK und nicht die ProLitteris letztinstanzlich verantwortlich für die Prüfung der Angemessenheit der Tarife ist, so ist es die ProLitteris, die auf der Basis unrechtmässig zustandegekommener Tarife Forderungen erhebt. Das Gesetz und inbesondere der Angemessenheitsartikel des URG gilt auch für die ProLitteris, die schon bei der Eingabe der Tarife an die ESchK nur angemessene Vorschläge zu machen hat, die dann nur noch im Kleinen von Vertretern der Nutzer und der Rechteinhaber korrigiert bzw. ausgehandelt werden müssen. Sie ist mindestens für die tarifinternen Unangemessenheiten verantwortlich. Die ProLitteris hat sich seit 1992 im Rahmen der Tariffestlegung nie an das Gesetz gehalten. Darum sind ihre daraus abgeleiteten Forderungen ungesetzlich.
Das Handelgericht Zürich hat in einem Urteil vom 15. März 2023 die Klage der ProLitteris gutgeheissen und ist unter Hinweis auf Art. 59, Abs. 3, URG nicht auf die Einwände der Enter AG eingegangen, dass die Tarife ungesetzlich sind.
Ceterum Censeo
Die Kopierabgaben sind nur der offensichtlichste Fall von unangemessener Selbstbereicherung der Verwertungsgesellschaften mittels Zwangsabgaben. Noch extremer sind Leergut- und Geräte-Abgaben.
Aus diesem Grund sollte diesen Institutionen das Recht entzogen werden, pauschale Zwangsabgaben für Werke zu erheben, die von den Abgezockten nicht genutzt werden.
Das Recht auf Schutzgelderpressung der Verwertungsgesellschaften ist gänzlich aus dem Urheberrecht zu streichen.